Hey, ich bins. Der mit dem wirklich inzwischen sehr unregelmäßigen Newsletter über Tech, Design und ihre Konsequenzen. Weiterhin “KI”-lastig, weiterhin geschrieben zwischen Meetings und über mehrere Wochen.
Und damit willkommen zurück zu Zine, dem Newsletter über Blasen und ihre Größen, Medienhaus Management und Ratten-Sichtungen.
✌🏻,
Johannes
P.S.: Die Indiecon findet wieder am ersten September-Wochenende in Hamburg statt und ich darf dieses Jahr drei der Talks moderieren: Pioneer, New York Review of Architecture und Søren Ipland. (Wird cool, kommt rum!)
🫧 Bubble Watch 🫧
Es ist fast zwei Jahre her, seit ChatGPT das Licht des Internets erblickte und in mancher Hinsicht hat sich überraschend wenig geändert: “KI” ist noch immer durchsetzt von Spekulation (“könnte”, “wird”, "usw.), platten Klischees (“Revolution!”, “Transformation!”, “Disruption!!!”) und wenig hilfreichen Benchmarks.
Der Grund für diese Mischung ist, dass “KI” (oder GenAI) offiziell eine Investmentblase ist1. Knapp 50% oder 27 Millarden USD der gesamten Venture Capital Investments entfallen auf “KI” im weitesten Sinne. Und wo sich VCs herumtreiben, da entsteht Hype. Hype im Sinne absolut und absurd überzogener Erwartungen an das, was eine neue Technologie angeblich leisten wird: Spekulation, platte Klischees und wenig hilfreiche Benchmarks. Oder wie Charlie Wartzel im Atlantic es so schön beschreibt:
AI people become something like evangelists for a technology rooted in faith: Judge us not by what you see, but by what we imagine.
Entsprechend spannend ist es, wenn VCs selbst auf einmal öffentlich skeptisch werden. Da wäre der Sequoia Investor David Cahn, welcher die Investitionen in die KI-Infrastruktur (Datencenter + Chips) grob auf 600 Milliarden USD schätzt, während der Umsatz(!) der gesamten Industrie(!!) unter 100 Milliarden USD läge. Die Lücke zwischen diesen Zahlen wäre dann in etwa so groß wie zwei Apollo-Programme oder der jährliche Gesamtumsatz aller deutschen Automarken zusammen.
Eine zweite Schätzung kommt von Goldman Sachs’ Head of Research, Jim Covello, der die sehr saftige Zahl von 1 Billiarde USD in Infrastruktur-Investitionen über die nächsten Jahre in den Raum wirft. Das ganze Interview, bzw. der ganze Report, ist sehr lesenswert, weil er nüchtern große Teile der KI-Erwartungen und Narrativen zerpflückt. Und er stellt die zentrale Frage:
What $1tn problem will AI solve? Replacing low-wage jobs with tremendously costly technology is basically the polar opposite of the prior technology transitions I’ve witnessed in my thirty years of closely following the tech industry.
Die Frage ist nicht, ob “KI” nützlich ist, sondern ob sie 1 Billiarde USD nützlich ist. Auch ein Benedict Evans (ex a16z) ist skeptisch: das Wachstum von ChatGPT scheint ein Plateau erreicht zu haben und die meisten Nutzer:innen sind und bleiben Gelegenheitsnutzer:innen.
Ich finde es vor diesem Hintergrund faszinierend, wie selbstsicher einige der auf LinkedIn prominenteren “KI-Expert:innen” sind, dass die größte Revolution und Transformation seit langem gerade geschieht. Die sehr viel ehrlichere Position wäre: “Bitte kauft meine Dienstleistung/Online-Kurs/Vortrag/SaaS-Produkt. Ich muss auch meine Miete bezahlen.” Würde ich respektieren.
Wenn Technologie-Adoption eins ist, dann sehr sehr sehr unberechenbar, oft zutiefst seltsam und folgt selten simplen Modellen2. Noch mehr, wenn die Technologie in Frage durch eine Investment-Blase verzehrt wird. Und je größer die Blase ist, desto unwahrscheinlicher wird es, dass ihre Erwartungen erfüllt wird. Die Frage ist nur, ob die heiße Luft sie mit einem Knall oder einem langen, schrillen Pfeifen verlassen wird.
+ Auch noch eine Erinnerung an der Stelle, dass der Gartner Hype Cycle ein mieses Modell ist und keinerlei Vorhersagekraft hat.
+ Weil es eine gute Case Study ist: Glaub mir, du wolltest schon immer was über die Geschichte von Tomaten-Erntemaschinen lesen.
+ Die sinkenden Kosten der OpenAI API haben den Punkt erreicht, an dem ihr Einsatz für werbefinanzierte Spam-Contentfarmen profitabel ist. Oder “Slop”, wie Ryan Broderick sagen würde.
Merkwürdiges und Anderes
Vice—Es ist überraschend, wie eindeutig sich der Untergang von Vice, einem der Vorzeigemedien der 2010er, ausschließlich auf das Management zurückführen lässt. Internes Chaos, fehlende Prozesse und Selbstbedienung: während Freelancer:innen und Dienstleister ihr Geld einklagen mussten, gönnte sich das Management noch vor der Pleite großzügige Boni.
Mit CrowdStrike im Hintergrund: ein guter Moment “When Good Software Goes Bad” zu lesen 🛠️
Ein Telefonbuch für das Indie-Web ☎️
Ein PDF größer als
Deutschland,die Distanz zwischen Mond und Erde, das UniversumEine Gallerie gestohlener Button 🥷
Ein paar Notizen zu den Unterschieden zwischen der Fantasie und Realität von Technologien
Radikal weniger Meetings und mehr Dokumentation machen glücklicher (Laut Slack und Asana) 👨💻
Tatsächlich gute Tipps, um ChatGPT als Schreibwerkzeug einzusetzen
Die Geschichte des Stream Decks ⌨️
Die Vor- und Nachteile von LLMs in der Geschichtsforschung (ft. kanadische Biberjäger) 🦫
Verfügbare Datenquellen für KI versiegen rasant ¯\_(ツ)_/¯
Rest of the World sammelt Fälle von GenAI-Einsätzen bei Wahlen weltweit
Ein Argument gegen die Annahme, dass die Welt immer komplexer wird 👀
In der geheimen, aber wundervollen Welt der Online-Schweine-Rennen 🐽
ISIS hat inzwischen ein GenAI-Propaganda-Strategie
In 2023 wurden das erste Mal in den USA über 1.000 Mal Emojis in Gerichtsverhandlungen verwendet 🧑🏻⚖️
Out: Prompt Engineering ist kein “Future Skill” sondern ein Zwischenschritt
In: Vape-native Journalism 💨
Leseempfehlung dazu “Bubbles and Crashes: The Boom and Bust of Technological Innovation” von Brent Goldfarb and David A. Kirsch
In “Progress without People” beobachtete der Historiker David Noble beispielsweise, dass Manager:innen oft irrational in ihrem Einsatz von Automatisierung sind:
When the cost of machinery was lower than that of labour, they bought machines, but when the cost of machines was higher than that of labour, they still bought machines (and sometimes fudged the justification accordingly).
[…]
Managers feel they must automate because “everyone’s doing it,” out of fear that they will be undone by more up-to-date competitors (a paranoia encouraged by equipment vendors). There is this vague belief that the drive to automate is inevitable, unavoidable, and this belief becomes a self-fulfilling prophesy. In the stampede, meanwhile, there is very little sober analysis of costs and benefits.